Sächsisches Oberverwaltungsgericht: Gleichwertigkeitsprüfung hat Vorrang vor Kenntnisprüfung, Kein Verzicht möglich, Kenntnisprüfung ohne vorangegangene Gleichwertigkeitsprüfung rechtswidrig, Antragsteller hat weiterhin Anspruch auf deren Durchführung.

I. Sachverhalt:

Die aus Albanien stammende Klägerin hatte die Erteilung einer ärztlichen Approbation nach § 3 BÄO bei der Landesdirektion Sachsen beantragt. Sie folgte einem Hinweis der Behörde, wonach eine Berufserlaubnis nur zu erhalten sei, wenn sie auf die Durchführung der Gleichwertigkeitsprüfung verzichte und sich mit der Ablegung einer Kenntnisprüfung nach § 3 Abs. 3 Satz 3 BÄO einverstanden erkläre.

Mit Bescheid vom (…) stellte die Landesdirektion fest, dass nach dem Verzicht der Klägerin auf die Gleichwertigkeitsprüfung der Nachweis der Gleichwertigkeit der Ausbildung nur durch Ablegen der Kenntnisprüfung erbracht werden könne. Die Klägerin legte in der Folgezeit die Kenntnisprüfung drei Mal erfolglos ab. Gegen den Bescheid, mit dem das endgültige Nichtbestehen der Kenntnisprüfung festgestellt wurde, legte sie Widerspruch ein, der ohne Erfolg blieb.


Die dagegen vor dem Verwaltungsgericht Chemnitz erhobene Klage war erfolgreich.

II. Die Entscheidung des VG Chemnitz

Die Klage hatte in erster Instanz Erfolg.

Das VG Chemnitz (Urt. v. 12.05.2022, Az. 4 K 938/20) stellte fest, dass nach den gesetzlichen Bestimmungen vor Ablegung einer Kenntnisprüfung zwingend die Gleichwertigkeitsprüfung vorzunehmen sei. Auf diese könne auch nicht wirksam verzichtet werden. Die Klägerin habe einen Anspruch auf Fortsetzung des Approbationserfahrens und Durchführung der Gleichwertigkeitsprüfung nach § 3 Abs. 3 BÄO.
Auch seien sämtliche Prüfungsbescheide rechtswidrig. So seien auch die bestandskräftigen Prüfungsbescheide aufzuheben, weil das Ermessen des Beklagten wegen dessen offensichtlich rechtswidriger Vorgehensweise auf Null reduziert sei. Die Klägerin habe damit Anspruch auf Erlass eines Feststellungsbescheides nach § 3 Abs. 2 Satz 8 BÄO. Falls hierbei wesentliche Unterschiede in der Ausbildung festgestellt würden, könne sie erneut die Kenntnisprüfung (ggfs. mit zwei Wiederholungsprüfungen) ablegen.

Gegen diese Entscheidung war die Berufung zugelassen worden.

Eine ausführliche Besprechung dieser Entscheidung findet sich im Eintrag vom 13.06.2023.

III. Die Entscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichtes (SächsOVG)
Das SächsOVG hat in seinem Urteil vom 29.08.2023, Az. 2 A 270/22, das Urteil des VG Chemnitz im Wesentlichen bestätigt.

Hier die wichtigsten Aussagen:

Die Kenntnisprüfung hätte wegen des Vorrangs der Gleichwertigkeitsprüfung nicht

durchgeführt werden dürfen. Nach dem Gesetz bestehe weder eine Wahlmöglichkeit zwischen GWP und Kenntnisprüfung noch kann auf die Gleichwertigkeitsprüfung verzichtet werden. Die GWP habe zwingend Vorrang. Somit hätte die Klägerin nicht zur Kenntnisprüfung geladen werden dürfen. Dem stehe das von der Klägerin zunächst erklärte Einverständnis mit der vom Beklagten vorgeschlagenen Verfahrensweise nicht entgegen.
Die Erklärung der Klägerin sei auch Folge einer Falschauskunft des Beklagten, die die beantragte Erlaubnis zur vorübergehenden Berufsausübung von dem Verzicht auf die Gleichwertigkeitsprüfung abhängig mache.

Bezüglich der Aufhebung der Bescheide über das Nichtbestehen der Kenntnisprüfung hat das SächsOVG gegenüber dem VG Chemnitz eine etwas andere Auffassung vertreten:

Zwar seien diese Bescheide in mehrfacher Hinsicht rechtswidrig; indes sei das von der Behörde auszuübende Rücknahmeermessen (noch) nicht auf Null reduziert, so dass die Behörde zu einer fehlerfreien Ausübung ihres Rücknahmeermessens verpflichtet sei.

Das Berufungsgericht hat der LD Sachsen hierfür aber mit auf den Weg gegeben, dass für die Ausübung des Rücknahmeermessens gewichtige Gründe sprechen, insbesondere der Umstand, dass die Klägerin durch ihre fehlerhafte Beratung zu dem Verzicht auf die Durchführung der GWP veranlasst worden sei. Auch habe der Beklagte mittlerweile seine Verwaltungspraxis geändert und führte die GWP zwingend durch. Dies lege eine Gleichbehandlung mit der Klägerin nahe.

IV. Zur Bedeutung der Entscheidung:

Mit der Entscheidung des SächsOVG hat erstmals ein OVG in einem Urteil festgestellt, dass die GWP Vorrang vor der Kenntnisprüfung hat und damit Bescheide über das Nichtbestehen von Kenntnisprüfungen, die entgegen dieser Reihenfolge mit einem Nichtbestehen abgelegt worden sind, mit Aussicht auf Erfolg angefochten werden können bzw. – nach Eintritt ihrer Bestandskraft – deren Aufhebung beantragt werden kann.

Durch das erfolglose Ablegen von drei Kenntnisprüfungen ist das Approbationsverfahren noch nicht beendet, es kann weiterhin die Durchführung der GWP verlangt werden, die ja im günstigsten Fall mit der Erteilung einer Approbation abgeschlossen wird.

Wie in konkreten Verfahren vorzugehen ist, dürfte von den Umständen des Einzelfalls abhängen. Es lohnt sich aber in jedem Falle eine genaue Prüfung, ob ein Verfahren, das bereits abgeschlossen erscheint, noch einmal aufgenommen werden kann.

Dresden, 14.11.2023

Lothar Hermes
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Verwaltungsrecht