Anspruch auf Durchführung einer Gleichwertigkeitsprüfung auch nach vorausgegangener Verzichtserklärung
Im Urteil des VG Chemnitz (Urt. v. 12.05.2022, Az. 4 K 938/20) heißt es:
I. Sachverhalt:
Die aus Albanien stammende Klägerin beantragte am 17. Januar 2017 die Erteilung einer ärztlichen Approbation nach § 3 BÄO bei der Landesdirektion Sachsen. Aufgrund eines Hinweises der Landesdirektion verzichtete die Klägerin auf die Durchführung der Gleichwertigkeitsprüfung und erklärte ihr Einverständnis, sich unmittelbar der Kenntnisprüfung nach § 3 Abs. 3 Satz 3 BÄO zu unterziehen.
Mit Bescheid vom 26.04.2017 stellte die Landesdirektion in Ziff. 1 fest, dass nach dem Verzicht der Klägerin auf die Gleichwertigkeitsprüfung der erforderliche Nachweis der Gleichwertigkeit ihrer Ausbildung nur durch Ablegen der Kenntnisprüfung erbracht werden könne. Diese legte die Klägerin in der Folgezeit zweimal erfolglos ab; die dazu ergangenen Bescheide vom 30.10.2018 und vom 20.02.2019 wurden bestandskräftig. Auch die zweite Wiederholungsprüfung bestand die Klägerin nicht. Gegen den Bescheid, mit dem das endgültige Nichtbestehen der Kenntnisprüfung festgestellt wurde, legte die Klägerin Widerspruch ein, der ohne Erfolg blieb.
Dagegen hat die Klägerin fristgerecht vor dem Verwaltungsgericht Chemnitz Klage erhoben mit dem Ziel, die Bescheide über die Feststellung des Nichtbestehens der Kenntnisprüfung aufzuheben und ihr einen Bescheid über die Feststellung von wesentlichen Unterschieden ihrer Ausbildung zu erteilen.
II. Die Entscheidung
Die Klage hatte Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hob Ziff. 1 des Bescheides vom 26.04.2017 auf, wonach der Nachweis der Gleichwertigkeit der Ausbildung nur durch eine Kenntnisprüfung erbracht werden könne. Nach den eindeutigen gesetzlichen Bestimmungen sei vor Ablegung einer Kenntnisprüfung zwingend die Gleichwertigkeitsprüfung vorzunehmen. Daher könne der Antragsteller auf die Gleichwertigkeitsprüfung auch nicht wirksam verzichten.
Die Klägerin habe sich allein aufgrund einer falschen Auskunft des Beklagten für die unmittelbare Durchführung der Kenntnisprüfung entschieden.
Folglich sei es sachgerecht, wenn die Klägerin ihre Klage auf die Aufhebung der bestandskräftigen Prüfungsbescheide erweitere. Denn sie habe einen Anspruch auf Fortsetzung des Approbationserfahrens und Durchführung der Gleichwertigkeitsprüfung nach § 3 Abs. 3 BÄO. Weil dies nicht durchgeführt wurde, seien sämtliche Prüfungsbescheide rechtswidrig. Auch die bestandskräftigen Prüfungsbescheide seien aufzuheben, weil das Ermessen des Beklagten wegen dessen offensichtlich rechtswidriger Vorgehensweise auf Null reduziert sei. Die Klägerin habe damit Anspruch auf Erlass eines Feststellungsbescheides nach § 3 Abs. 2 Satz 8 BÄO. Falls hierbei wesentliche Unterschiede in der Ausbildung festgestellt würden, könne sie erneut die Kenntnisprüfung (ggfs. mit zwei Wiederholungsprüfungen) ablegen.
III. Die Bedeutung der Entscheidung
Die Entscheidung des VG Chemnitz kann als eine kleine Sensation bezeichnet werden. Das Gericht hat angeordnet, dass das approbationsrechtliche Verfahren fortzuführen und im Rahmen einer Gleichwertigkeitsprüfung zu prüfen ist, ob der Klägerin eine Approbation zu erteilen ist. Sofern noch Defizite festgestellt werden können, hat sie einen Anspruch auf einen entsprechenden Defizitbescheid. Das ist wichtig, weil bei wenigen Defiziten die Möglichkeit besteht, diese durch berufspraktische Erfahrung (im Rahmen einer Berufserlaubnis) sowie durch lebenslanges Lernen noch auszugleichen.
Das Gericht hat auch sämtliche Bescheide über das Nichtbestehen der abgelegten Kenntnisprüfung unmittelbar aufgehoben. Es sah in der fehlerhaften Beratung der Klägerin durch die Landesdirektion einen schwerwiegenden Verfahrensfehler, der die unmittelbare Aufhebung der Bescheide durch das Gericht rechtfertigt.
Das Gericht hat betont, dass die Behörde gesetzlich verpflichtet sei, zwingend eine Gleichwertigkeitsprüfung durchzuführen (so auch die weitere Rechtsprechung: OVG Weimar, Beschl. v. 27.04.2021, 3 EO 769/20; VG Bremen, Urteil vom 14. Juli 2022 – 5 K 72/22 –, juris).
In der Praxis haben einige Landesbehörden versucht, Antragsteller dazu zu bewegen, auf die Durchführung der Gleichwertigkeitsprüfung zu verzichten und direkt eine Kenntnisprüfung abzulegen. Nicht selten wurde dies mit einer Verkürzung des Approbationsverfahrens begründet.
Diese Praxis verletzt geltendes Recht.
Gegen das Urteil hat die Beklagtenseite hat die Zulassung der Berufung beantragt. Diesem Antrag hat das Sächsische Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 27.02.2023, Az. 2 A 370/22, stattgegeben. Die Entscheidung im Berufungsverfahren erfolgte am 29.08.2023 (siehe Beitrag vom 14.11.2023).
Dresden, 13.06.2023
Lothar Hermes
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Verwaltungsrecht
– aktualisiert am 14.11.2023 –